Alexander
Malen lernen mit Astrid - oder Meditation in (Mal-)Aktion
Ich möchte erzählen von meiner wunderbaren Malwoche in den italienischen Marken und falle gleich mit der Tür ins Haus; kein Vorspann über wunderbare Astrid, tolle Unterkunft, Giovannis herrliches italienisches Essen, das Glück, geistesverwandte Mitmalerinnen getroffen zu haben und so fort… Malen also – im Urlaub – oder statt Urlaub?!
Ich springe also gleich rein in den geräumigen, von der heißen italienischen Sonne geschützten, Atelierraum. Die Künstlerin und vier Möchtegern- Maler*Innen haben sich an einem Sonntag, um 10:00 Uhr, in der Frühe eingefunden. Wahrscheinlich ist es für den Profi und den Dilettanten gleichermaßen eine Zumutung vor einem leeren Blatt zu stehen, mit dem Auftrag daraus jetzt ein Bild zu erschaffen – aus dem Nichts gleichermaßen. Alleine harrend dem bohrend fragenden Blick der weißen Leinwandfläche ausgesetzt, erstarrt man vermutlich vor Ehrfurcht oder Lampenfieber, anstatt freudig los zu pinseln. Dieser Hürden, Hindernisse und Sorgen sind wir allerdings durch Astrids freundlichen Ansatz enthoben.
Wie beginnt also alles? Es beginnt gemeinsam, in meinem Fall zu viert. Vier Leinwände zu einer großen Fläche vereint sind vor uns ausgebreitet auf dem Boden des kühlen Ateliers. Mit vier wässrigen Farben, blau, rot, ockerfarben, gelb, und Pinseln die eher einem Quast gleichen, nehmen wir uns der Reihe nach die große Fläche vor. Es gibt keinen Masterplan, jede/r entscheidet sich für eine Farbe und malträtiert die Fläche nach Gusto und Intuition, gespritzt, getröpfelt mit großen Hüben und Schwüngen und sattem Farbauftrag, oder eher filigran und zart. Unwillkürlich reagieren wir auf die Vorgängerin und das, was sie hinterließ. Ihr Tun fortschreibend ergeben sich neue Farben aus dem Ineinanderfließen des neuen Auftrags mit dem alten. Da oder dort ertappe ich mich, wie ich den Atem anhalte, gespannt und angerührt über das was dort gerade geschieht – aufregend ist es, wie ein spannender Film. Manchmal möchte ich den Prozess anhalten und rufen: „Halt! So ist es doch jetzt perfekt!“, um im nächsten Moment zu erleben, dass das Werden voranschreitet.
Dann, doch das Ende, als Astrid dem gemeinsamen Tun Einhalt gebietet, kaum dass die Fläche vollständig mit Farbe bedeckt ist und fast kein weißer Fleck mehr erkennbar. Was haben wir da produziert? Ein Gemeinsames aus eher organischen, biomorphen Formen und Flächen – gegenstandslos und doch schon voller Ausdruck, freundlich, heiter, leicht, durchsonnt, wie die Landschaft. Andere würden dieses Werk vielleicht bereits ins Schaufenster stellen, nicht so Astrid.
Jetzt beginnt der nächste Schritt: Die vier Leinwände werden wieder getrennt und per Los einem jeden/einer jeden zugeteilt. Pause. Zunächst wird es handwerklich. Astrid richtet jeder drei Farbpaletten aus ovalen Plastikeimerdeckeln an (wie ich finde, an sich schon ein Kunstwerk), stattet uns mit einem Satz Pinsel aus, und zeigt deren Einsatz und die Technik des Mischens. Nun hängt „meine“ Leinwand also doch vor mir, an der Wand, gut ausgeleuchtet, der Schutz der Gruppe ist futsch und ich muss mich mit dem Visavis auseinandersetzen was mich da so herausfordernd bunt anglotzt.
Der Auftrag ist einfach und schwierig zugleich. In der Rückschau könnte ich nicht einmal mehr sagen, wie genau ihn Astrid formuliert hat. Ich will versuchen zu beschreiben, wie ich es verstanden habe. 1 Ich sehe ein Geviert, gefüllt mit Flecken, Flächen, Schlieren, zufällig entstandenen Strukturen und das soll nun verdichtet werden, hergerichtet oder zugerichtet, verändert und in eine bestimmte Richtung getrieben. Ob gegenständlich oder nicht, davon war keine Rede. In welche Richtung soll ich nun herausfinden. Wie kann ich das? Woher weiß ich, was ich soll? Soll es konkret sein oder bleibt es im Ungefähren? Es geht wohl darum etwas zu entscheiden. Wie kann ich aber entscheiden, wenn es kein Ziel gibt, keine Rahmung, keine Bedingungen? Kann ich mich auch „falsch“ entscheiden? Astrid ist jedenfalls zunächst einmal gegangen und jede*r von uns steht in stillem Dialog vor seinem „Bild“, was erst noch eines werden will. So könnte Schwangerschaft sein und meine Geburtshelferin ist gerade nicht da. Pause.
Wir arbeiten vormittags und nachmittags, jeweils drei/vier Stunden. Arbeitsurlaub oder Urlaubsarbeit. Pausen sind vielleicht mit das Wichtigste. Manches entscheidet sich in der Pause. Pause machen ist gelegentlich nicht ganz einfach. Manchmal träume ich sogar noch in der Nacht von meinem Bild und der Frage, was es von mir wollen könnte. Okay, ich muss mich beschränken es geht nicht ums Ganze, keine große Komposition. Ich fange in der Ecke an, die irgendwie zu mir spricht.
Ich greife etwas Amorphes, kurviges auf und begrenze es zu einer eher geometrischen, eckigen Form, wobei ich einen Farbaspekt meiner amorphen Masse auswähle und zu meiner rechteckigen Fläche ausdehne. Ah ja, der Anfang ist gemacht. Jetzt ist es schon leichter, denn meine frisch gebaute Fläche verändert einiges. Durch diesen ersten Eingriff alleine. Ein nächster folgt nach dem gleichen Muster. Wie ich Pinsel und Farbe führe habe ich nicht bewusst entschieden – es passiert.
Unwillkürlich, nicht voraus geplant. Bildbesprechung vor der nächsten Pause. Die Künstlerin kann erklären, was wir da tun, gibt Hinweise und Tipps, ermuntert und bestärkt, geht auf kritische Stellen ein, erörtert ein Problem, verweist auf mögliche nächste Schritte, hat ein Wort für jedes Kunstwerk und jede Künstlerin.
Puh, nun also auch noch auseinandersetzen mit Feedback – kann man doch etwas falsch machen?! Anscheinend nicht – allerdings ist der innere Kritiker geweckt. Er wird mir auch in den kommenden Tagen immer wieder plötzlich und hinterrücks auf die Schulter springen, das teuflische Köpfchen schief legen und mit spöttischer Geste auf gewisse Unzulänglichkeiten dieses dilettierenden Malclowns hinweisen, der ich bin. Arsch – hau ab!
Und so geht es nun weiter Stunde für Stunde, Arbeitsblock für Arbeitsblock, Tag für Tag. Ich schaue, warte bis ich ein Gefühl zu einer Stelle meiner Leinwand bekomme, gestalte sie, bin selbst überrascht von dem was da passiert. Ich kämpfe gegen die schnell trocknende Farbe in der Hitze italienischer Sonne, befeuchte meine Farbhaufen auf der Palette, reibe Bildteile mit kurzhaarigem Pinsel unter Kraftaufwendung trocken, vermale angrenzende Flächen miteinander, schaffe Übergänge, trenne anderes. Es hat etwas alchemistisches, wie man mit fester Farbmaterie, feurigem Luftelement unter Hinzuziehung von viel Wasser, ohne das es kein Malen gäbe, etwas erschafft, was mehr ist als seine einzelnen Bestandteile.
Der Geist, der sich wohl auch noch einschleicht in den Malprozess gebiert ein Objekt, welches beim Betrachter wohl erneut Geistiges hervorzubringen vermag: Gefühle, Zu- Abneigungen, Überraschung, Neugierde, Fragen, Ideen. Der Prozess schreitet voran. Irgendwann gibt es nur noch wenige Bildräume die ich nicht beackert habe. Ein wenig Gelassenheit kehrt ein. Bildbesprechung. Pause. Zeit um darüber nachzusinnen, was da eigentlich geschieht mit mir/uns, beim Malen.
Wie gestaltet sich dieser Schaffensprozess? 2 Ich meditiere regelmäßig. Das erste, was mir einfällt, die Parallelen von Malen und Meditieren. Das mag überraschen. Malen als Meditation in Bewegung mit Utensilien – Farbe, Pinsel, Leinwand.
Ein Annäherungsversuch über die Meditation: Meditation ist ein Gewahrsein der Welt da draußen unter Hinzuziehung der eignen Person als Ganzer. Wahrnehmen mit allen Sinnen, mit Körper, Geist, Gefühl. Ich umschiffe die Klippe, erklären zu müssen, wo hier die Unterschiede liegen, die Grenzen und Schnittpunkte, durch Auslassung. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Meditierens, der Umgang mit dem Geist. Gemeint ist hier der egomanische alte Affengeist, der gerne auf der eigenen Schulter herumsitzt (s.o.), von einem Gedanken zum nächsten hüpft, sich aufbläht und der Größte sein möchte, um sich im nächsten Augenblick in fürchterlichen Selbstbeschimpfungstiraden zu ergießen und dann scheinheilig über den Einkaufszettel für das kommende Wochenende zu sinnieren. Wie geht man also mit diesem so gerne an starren Selbstkonzepten anhaftenden Geist um? Idealerweise bringt man ihm in der Meditation bei, wer der Chef ist. Ich lerne im Meditieren, dass ich mich nicht von meinem (Affen-)Geist durch die Manege meines Lebens treiben lasse, sondern er brav „bei Fuß“ geht und mir hilfreich ist, beim bewältigen der Aufgaben, die das Leben so mit sich bringt.
In gewisser Weise geht das aber nur, wenn ich mit purer, reiner Wahrnehmung die Dinge sehe, wie sie wirklich sind – und eben nicht durch die Affengeist-Brille eigener Konzepte, Vorannahmen und -urteile. Die stets getönte (egal ob rosa, blau, gelb oder grau-schwarz) Affengeist-Brille trennt mich von der Welt, macht es unmöglich die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind. Durch diese Trübung fehlt der Durchblick: ich bekomme Probleme in und mit der Welt und fange an, an ihr zu leiden. Und was hat das nun mit meinem Malprozess zu tun? Ich fange besser am schlimmen Ende an: Wann wird mein Malen ein quälendes Tun? Wann leide ich am Herstellungsprozess meines Bildes? Wann hadere ich und schimpfe mit mir und meinem Bild? Wann bin ich unzufrieden mit meiner Bildwelt, habe das Gefühl, dass sie sich widersetzt? Wann finde ich mich unfähig und nicht in der Lage das auszudrücken, was ich gerne ausdrücken möchte? Wann möchte ich am liebsten alles hinschmeißen? Einfach gesagt: Wenn mein Affengeist mir einflößt, ich wäre bestimmt ein (großer) Künstler, wenigstens ein unerkanntes Talent, und müsse also etwas Großartiges erschaffen. Oder andersherum könnte er säuseln: „Oh, du armer Wicht, wie um alles in der Welt, bist du auf diesen schlichten Gedanken verfallen, nahe der schönen Adria MALEN zu wollen anstatt, dir altersangemessen die Füße ein wenig vom kühlen Nass des Meeres umspülen zu lassen und des Abends den Bauch mit leckeren Meeresfrüchten, regionalem Schafskäse und leichten Weißweinen zu stopfen?
Beide Einflüsterungen sind eine Trance – ein Dämmerzustand, bei dem der Geist umnebelt ist von den eigenen „ansprüchigen“ Selbstbildern, die uns von der Welt, wie sie ist, trennen und uns nicht angemessen umgehen lassen mit den Dingen wie sie nun einmal liegen. Wenn wir in dieser Traumwelt stecken, beginnen wir an der Welt zu leiden – eigentlich an uns selbst, denn die Welt ist wie sie ist. Im Prozess der Meditation wie im Prozess des Malens sind wir vor die gleiche Frage gestellt: Lasse ich mich von dieser selbstbezüglichen Trance davontreiben oder bin ich im Hier und Jetzt. Die Fragestellung beim malen: Kann ich wahrnehmen, was da auf der Leinwand IST. Kann ich die Optionen und Möglichkeiten erschauen, die sich im anfangs noch amorphen Gewirr der Formen und Farben verbergen? Kann ich die Aufregung spüren, wenn es noch keinen Lösungsansatz gibt für eine zu bearbeitende, zu bemalende, zu gestaltende Stelle? Aber in dieser (noch) Lösungslosigkeit des Augenblicks kündigt sich bereits eine Tendenz an – wir empfinden es vielleicht unterschiedlich. Für mich ist es etwas wie ein Lampenfieber, ein Erregungszustand bevor der Funken überspringt, eine Vorfreude?! Dann ist der Moment, die Zeit reif, und ES fließt.
Keine Ahnung wer dieses ES ist. Aber es ist das sichere Gefühl, dass nicht (unbedingt) ich es bin, der jetzt entscheidet, welcher Strich zu führen ist, wie der Pinsel zu halten ist, wie die Farbe jetzt nun genau zu mischen ist. Ich treffe keine Wahl mit Vorbedacht – die Bilder die gemalt werden wollen kommen zu mir. Nicht ich – mein Ego- Trance-Konzept – trifft eine Wahl; das was in die Welt will drängt sich gewissermaßen auf, will gemalt 3 werden. Eine Geburtshelferschaft kann ich mir dann noch zuschreiben aber – streng genommen – keine Autorenschaft mehr. Geschehen kann das nur, wenn ich meine vorgefassten Konzepte und Ideen davon, was es werden soll, loslasse, von mir absehen kann. Es ist übrigens ein durchaus befriedigendes Gefühl ein Bild auf die Welt zu bringen.
Noch einmal kurz zurück zur oben angesprochenen Blockadesituation: Was tun, wenn ich feststecke in meiner selbstbezogenen Trance und grummele und schimpfe und so gerne erzwingen will, was mein Dickkopf sich so ausgedacht hat? Astrid hatte den lösenden Hinweis: „Du musst jetzt aufhören. Mache etwas anderes, denn Du siehst ES nicht mehr!“
Die Pause ist der coole move. In meinem Nichthandeln (hinsichtlich des Malprozesses) steckt die Lösung. Jetzt kann ES in mir wieder in Ruhe untergründig weiterarbeiten, während das Hirn vordergründig mit Lesen, Musik machen oder hören, Spaziergängen, Gesprächen und dergleichen beschäftigt wird. Und als ich dann erneut vor der Leinwand stand, gab es noch einen kleinen Hinweis von Astrid (Geburtshelferin des Geburtshelfers) – und der Weg zeigt sich wieder, als wären dichte Nebel weggeblasen und Schleier gelüftet worden.
Wow! Eigentlich ist dieser Mal(kurs)prozess nicht nur verwandt mit Meditationsprozessen sondern mit den Lebensprozessen überhaupt. Das ist vielleicht eine Attraktivität dieses Malangebotes, welches wir bereits dunkel spüren oder erahnen, wenn wir uns zum Kurs anmelden. Eine Übungswoche für alltägliche Lebenspraxis. Eine Meditation – ein implizites Geistestraining – ohne auch nur ein Wort über dergleichen verlieren zu müssen. Nicht intellektuell, nicht begrifflich, nicht explizit eher emotional, unmittelbar und intuitiv.
Ach ja, und fertig wurden zwei Bilder in zwei Wochen. Das gemeinsame Aus-dem-Rahmen- Ausspannen, das Entgrenzen und Zusammenrollen in eine transportierbare Rolle, mit Frischhaltefolie hat mir auch noch gut gefallen. Hand in Hand arbeiten. Dann war es mir nicht mehr so wichtig – das Bild, mein (?) Bild.
Jetzt ruht es im Wandschrank neben Noten, Flexibar, Pinseln, Buntstiften, CDs und anderen Schätzen. Bin gespannt, wie es mit ihm weitergeht – ist ein wenig wie mit Kindern, wenn sie einmal groß sind; die machen ihr eigenes Ding – sind aber immer ein Teil von uns.