Silke
„Das Bild sieht irgendwie unfertig aus“, sagte einer. „Ja“, dachte ich, „aber warum?“
Weil es wie das Leben ist. Du wirst geboren und bist noch neu, allein durch deine Gene gekennzeichnet - wie eine frisch grundierte Leinwand. Auf dich strömen Ereignisse von aussen ein, von der Umwelt, von Menschen, die dir begegnen und alle hinterlassen Male auf deinem Körper und deiner Seele - wie wir auf den zusammengefügten Leinwänden.
Und irgendwann fängst du an zu sehen - all die Striche, Farben, Dellen und Lücken, die dich prägen, die dein Bild prägen und fragst dich, was gehört davon zu mir, was gehört zu meinem Bild? Du siehst und schaust, hinterfragst jedes einzelne Merkmal, trittst zurück und betrachtest dich, betrachtest das Bild aus der Ferne, bis du die Entscheidung triffst, Wichtiges zu bewahren, hervorzuheben oder auch zu verändern, Dinge zu übermalen, sie nicht mehr sichtbar zu machen, wenn sie für dich jetzt nicht passend sind.
Und es bewegt sich, das Bild, ändert sich, hält inne und geht weiter, in welche Richtung auch immer. Es ist ein Prozess, der nicht aufhört ... bis wir einem Bild einen Zeitstempel aufdrücken, eine Art Momentaufnahme ... das ist das Jetzt.
Wenn wir es an einem anderen Tag gemalt hätten, wäre es ein anderes Bild geworden. Und irgendwie ist das halt wie das Leben.